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Versuch über die ´Neue Dummheit´ (ND)

Unter Dummheit kann man vieles verstehen: Verhalten aufgrund jugendlichen Übermutes, kurzzeitige Aussetzer, die eine oder andere Fehlentscheidung und vieles mehr. Solche Dummheiten sind keine Frage von Intelligenz oder Bildung und haben auch nichts mit dem gemein, dem man in der alten Psychiatrie begegnete (heute Gott sei Dank nicht mehr). Sie haben andere Ursachen: etwa Übermüdung, heftige Verliebtheit, fehlendes Wissen und Erfahrung, Panik oder vielleicht eine vorübergehende Intoxikation …

In den letzten Jahren hat sich ein Phänomen verbreitet, das ich hier als ´Neue Dummheit´ (ND) bezeichne, und dazu möchte ich ein paar Überlegungen anstellen.

Worum handelt es sich bei der ´Neuen Dummheit´? Am bekanntesten wurden die Szenen um die Abwahl des früheren amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die letztlich im Sturm auf das Kapitol gipfelten; Nicht unähnlich sind manche Botschaften der sogenannten ´Evangelikalen´: Jesus wird im Jahr 2050 zurückkehren! Das sind nur Beispiele, die Aufzählung wäre leicht fortzusetzen.

Neue Dummheit, woher, warum und wer?

Die nachstehenden Überlegungen stammen aus der Feder eines erfahrenen Psychologen und Psychotherapeuten. Zunächst müssen wir also eine Einschränkung akzeptieren: Wie meistens in der Psychologie haben wir es mit ´Annäherungen´ und nicht mit Gewissheiten zu tun – es könnte so sein bzw. es trifft auf einige zu, auf andere wiederum nicht. Leider ist es hier nicht möglich alle, vielleicht relevanten, Umstände einzubeziehen.

Mein Entwurf des Modells der ´Neuen Dummheit´ sieht Entwicklungsstufen vor:

Stufe 1: Das überbordende Ego

Die vergangenen Jahrzehnte haben, deutlich erkennbar, zu einer Betonung des Ich geführt. Diese Emanzipation wurde großteils begrüßt und positiv bewertet: Loslösung vom blinden, traditionellen Gehorsam (Religiosität, Autoritäten); „Wachstum“ durch Psychotherapie; Abbau von Grenzen: Erweiterung der mentalen Grenzen durch Miterleben der Globalisierung; ökonomische Ermöglichung von Bewegungsfreiheit; neue politische Alternativen; neue Berufsmöglichkeiten durch höhere Bildung; Kontrolle von Schwangerschaften, u.v.a.

Stufe 2: Diese ´Emanzipation´ wird wohltuend erlebt

Diese neu gewonnene Innenwelt lautet: „Ich kann es … kann es mir leisten … bin attraktiv … kann wählen … bin frei … etc. Natürlich inkludiert das jetzt zu genießende Leben ein großes Belohnungspotential (materiell wie psychisch; riesiges Programmangebot, Teilnahme an Events, Reisen, …). Auf dieser ´Erfolgswelle´ schwimmend vergisst man sehr leicht, dass die abgelegten Bindungen auch Schutz, Geborgenheit und Unterstützung geboten hatten.

Stufe 3: (Relative) Vereinsamung

Parallel zum Erstarken des Egos wurde beim rauschhaften Konsumieren des überwuchernden Angebotes in Kunst und Kultur sowie in den neuen Erlebniswelten ´Kaufhaus´ eine zunehmende Vereinsamung übersehen. Stichwort: Facebookfreunde ersetzen keine echten Freunde; der Emotionsausdruck in Botox-Gesichtern kann nicht mehr verlässlich entschlüsselt werden, etc.

Stufe 4: Die Bedrohungen werden dem Einzelnen zu groß

Irgendwo bzw. irgendwann beginnen Ereignisse das Ego zu bedrohen: Corona, Klimawandel, Bevölkerungsdichte, Migration, Arbeitsstress … Losgelöst von den alten Bindungen steht er/sie nun mit dem überhöhten Ego diesen ´Bedrohungen´ ziemlich alleine gegenüber (Ein gut dazu passendes Beispiel: „Die Einsamkeit des Chefs – trotz dreitausend Angestellter“!)

Stufe 5: Andocken beim Nächstbesten

Die panische Suche nach Freunden. Es ist ein Instinkt: Die Suche nach dem Schutz einer Gruppe. Es gibt dabei nur einen Haken: Traditionelle Bindungen (Beziehungen) haben eine andere Tiefe und Tragfähigkeit. Derjenige/diejenige die jetzt Bindung sucht, ist fast zwingend auf jene angewiesen, die sich am lautesten anbieten: Populisten aller Couleurs. Selbst als Mitläufer in der Masse fühlst du dich wieder stärker und ´zugehörig´. ´Belongingness´ ist der wichtige psychologische Begriff dazu.

Stufe 6: Die deklarierte Zugehörigkeit

Durch ein Sich-deklarieren („Ich wähle XY“) werden Einstellungen gefestigt. Die sozialen Medien bieten jedem noch so gehemmten Individuum die geeignete Bühne. Schließlich macht es ein Gruppendruck fast unmöglich, sich wieder zu distanzieren.

Zusammengefasst: Jemand, der seine alten Wurzeln abgeschnitten hat, dann aber unter Druck bzw. in Not gerät, neigt dazu, sich dem nächsten der Hilfe verspricht anzuschließen.

Selbstredend gibt es Abstufungen – nicht jeder Mensch reagiert gleich: Eine extravertierte Person wird rascher neue Gruppen attraktiv finden und diesen zulaufen; Fundiertes Wissen und Reflexion können schützen; materielle Bedingungen sind der Boden für die Bereitschaft; eine aus der Kindheit mitgebrachte innere Stabilität bedeutet höhere Frustrationstoleranz und somit eine geringere Anfälligkeit gegenüber den „Neuen-Dummheiten“.

Herbert Mackinger

 

Stellungnahme der Gruppe 48 zum Krieg in der Ukraine

Die Gruppe 48 hat eine Stellungnahme verfaßt, die wir gerne auch hier veröffentlichen.
(H.M., 8.3.2022)

„Die Gruppe 48 verurteilt auf das entschiedenste den Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine. Die Invasion der russländischen Armee in der Ukraine ist völkerrechtswidrig, durch nichts legitimiert und bricht das humanitäre Völkerrecht, weil sie nicht nur militärische Ziele, sondern auch die ukrainische Zivilbevölkerung unter Beschuss nimmt. Dieser Krieg ist sofort zu beenden! Die Waffen müssen unverzüglich schweigen! Jedwede Bedrohung mit Atomwaffen und Angriffe auf Atomkraftwerke sind zu unterlassen, will Europa, ja die Menschheit nicht in einer tödlichen Katastrophe enden! Die Gruppe 48 unterstützt eine Verhandlungslösung, insofern diese die vollständige staatliche Souveränität der Ukraine einschließt. Sie versichert die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland und anderen Aufnahmeländern ihrer ungeteilten Solidarität.“

Lesetipp

Heidi Kastner: Dummheit

Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien. ISBN 978-3-218-01288-1; 99 Seiten, € 18,00

Dummheit ist en vogue. Nicht in der Wissenschaft, sondern auf der Straße: Anhänger und Anhängerinnen von Donald Trump, die das Kapitol stürmen, Zigtausende die gegen Corona-Impfungen demonstrieren und viele andere mehr. Adelheid Kastner, Psychiaterin und Leiterin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik Linz nimmt sich des Themas an, das die psychologische Fachwelt bis auf wenige Ausnahmen bisher vernachlässigt hatte. Zu verlockend war die Verortung von Dummheit am unteren Ende der Intelligenzskala. Viel Evidenz spricht allerdings dagegen.

Die einleitenden Kapitel – Intelligenzmessung, Klinik der „Intelligenzminderung“ – sind kurz gehalten, für einen „Neueinsteiger“ aber durchaus informativ. Dann aber legt die Autorin los und sorgt für ein Aha-Erlebnis nach dem anderen: Aha? Sie öffnet die Augen für Vieles um uns herum, dem wir fast täglich begegnen: „Lernverweigerer“ (Der Besserwisser, das Halbwissen – oder: nicht einmal wissen, dass man nichts weiß); der Mitläufer: er läuft mit der Gruppe, folgt Ideologien und Predigern aller Arten – bis zu QAnon. Querulanten, Faktenverweigerer; da ist man schon einmal prinzipiell gegen Alles, so auch gegen gesichertes Wissen. Und ist stolz auf die selbstgezimmerten Argumente die aufgrund ihrer Struktur oft nicht widerlegbar sind, falls nicht der Diskurs überhaupt verweigert wird. Leider betrifft dies auch das Verständnis von Demokratie. ´Das ist meine Spielzeugschachtel´: Bedingungslose und uneingeschränkte Freiheit. Von hier ist es nicht mehr weit zu Staatsverweigerern und den Kapitolstürmern – denen man die Wahl geklaut hat! Einsicht, Kompromissbildung, Impulskontrolle, Selbstregulation: aussichtslos. Besonders bemerkenswert: Der Dumme zieht keinen Vorteil aus seinem Handeln – bald hat er ein neues Motiv, wiederum dumm zu handeln!

Viele weitere Perspektiven finden sich in dem äußerst lesenswerten, kompakten Buch. „Falls Sie … Lösungsansätze vermissen: ich kenne keine.“ (Vorwort, Seite 10).

Wir werden allerdings nicht darum herumkommen, uns auf die Suche zu machen.

H.M.

Akademie für Literatur

Die Leondinger Akademie für Literatur ist ein im deutschsprachigen Raum einzigartiger Lehrgang, der sich in monatlich stattfindenden Wochenend-Workshops und mittels kontinuierlicher Online-Feedbacks sowohl auf praktischer als auch theoretischer Ebene mit dem Spezifischen des Mediums Literatur beschäftigt. In Diskussionen und Analysen eigener und ausgewählter fremder Texte sollen Sprachbewusstsein und -sensibilität gefördert werden.

Künstlerische Leitung: Gustav Ernst und Karin Fleischanderl

Näheres unter: https://www.literatur-akademie.at